Es gibt viele Bücher über Organisationsformen, aber mit seinem Buch “Reinventing Organizations - Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit” hat Frederic Laloux, ehemaliger Associate Partner bei McKinsey, definitiv einen Nerv getroffen. Sein Bericht über eine neue Arbeitswelt, die bereits im Entstehen ist, weckt die begründete Hoffnung, dass man auch anders arbeiten kann: mehr auf Augenhöhe, menschlicher und sinnstiftender.
Doch viele, die mit neuen Wegen der Organisation experimentieren und sich auf den Weg in das gelobte Land gemacht haben, stellen mit Ernüchterung fest: Teal funktioniert nicht. Dieser Artikel untersucht die Gründe für das Scheitern ambitionierter Transformationsvorhaben.
Vorweg gesagt: ich bin ein Fan der Arbeit von Frederic Laloux. Alle Kritik an “Reinventing Organizations” ist somit im Kontext grundsätzlicher Wertschätzung zu verstehen. Die Kritik bezieht sich insofern eher auf ein verkürztes Verständnis der Entwicklung dieser evolutionären Organisationen im Mainstream, was man dem Autor selber nicht anlasten sollte.
Die Firmen, die er untersucht hat, haben tatsächlich innovative Wege gefunden, um ihre jeweilige Organisation und ihre Unternehmenskultur umzukrempeln. Basierend auf dieser empirischen Datenlage hat Frederic Laloux auf induktive Weise drei Durchbrüche, bzw. drei Prinzipien von “Teal”-Organisationen in seinem Buch beschrieben.
Demnach gibt es eine gewisse Abfolge der Komplexität von Organisationsformen, die Frederic Laloux in Anlehnung an ein Modell der integralen Theorie von Ken Wilber mit einem Farbcode versieht. Nach roten, bernstein, orangen und grünen Organisationen, welche die historische Entwicklung von Organisationsparadigmen charakterisieren, bezeichnet “teal” (deutsch: petrol) die nächste Stufe von Organisationen, die gerade im Entstehen ist. Sie gibt Anlass zu der Hoffnung, dass mit ihrer Hilfe die Gesellschaft radikal zum Positiven verändert kann. Sein Buch versteht sich als Leitfaden dafür.
Eine genauere Beschreibung des Konzepts von Laloux findet sich in unserem beliebten Artikel “Was ist eigentlich ‘teal’?!”
Das alles macht eine Menge Sinn und ist überzeugend, insbesondere wenn man sich anhand von ausgewählten Beispielen den Erfolg der von ihm beschriebenen Firmen ansieht. Ein Problem ist allerdings, dass in dieser Auswahl von innovativen Firmen auch ein unausgesprochener “Survivor-Bias” impliziert ist: Laloux beschreibt in seinem Buch nur diejenigen, die es geschafft haben.
Den “Überlebenden” steht aber eine mehrfach größere Anzahl von Unternehmen gegenüber, die auf dem “Friedhof der Gescheiterten” ruhen. Für jedes Unternehmen, das es geschafft hat sinnstiftende Formen der Zusammenarbeit zu etablieren, gibt es vermutlich viele mehr, die es nicht geschafft haben.
Das erzeugt bei Teal-Enthusiasten eine ins unrealistische verzerrte Erwartungshaltung, dass ein Sprung ins neue Paradigma leicht sei. Dem ist leider nicht so. Teal Organisationen sind voraussetzungsreich und die dazugehörige Organisationsentwicklung ist anspruchsvoll in der Umsetzung. Kurz: Es ist leichter gesagt, als getan.
Es gibt eine Parallele aus dem Bereich Leadership Development und Potenzialentfaltung von Mitarbeitern. Auch hier wird bei den Beteiligten viel Energie, Enthusiasmus und Inspiration generiert. Doch, wie es so schön heißt: “Du kannst dich nicht in eine neue Lebensweise hinein denken. Du musst dich in eine neue Denkweise hinein leben.”
Die Inspiration verpufft schnell, wenn die trainierten Ideale, Werte und Visionen an den Klippen der klassischen Management-Hierarchie zerschellen. Es reicht nicht, wenn nur das Individuum sich verändert, aber dann in ein System zurückkehrt, das seine neue Identität nicht unterstützt und abweichendes Verhalten bestraft – trotz aller Lippenbekenntnisse der Chefetage.
Solche Programme haben zudem oft noch den nachteiligen Effekt, dass den Mitarbeitern klar wird, was sie eigentlich in Wirklichkeit wollen (individuell ist das oft der Wechsel von “orangen” zu “grünen” Werten, um in Frederic Lalouxs Farbschema zu bleiben), nur um herauszufinden, dass diese Vision im existierenden Unternehmen mit seinen starr-hierarchischen Strukturen nicht realisierbar ist.
Falls solche Mitarbeiter bleiben, werden sie zynisch oder gehen in die innere Kündigung. Falls sie gehen, weil sie Top-Performer sind und andere Optionen haben, dann finden sie in ihrer neuen Firma ironischerweise oftmals dieselben hinderlichen Strukturen und Verhaltensweisen vor. Diese wirken wie ein Magnet, der sie von ihrem neuen Niveau herunterzieht.
Menschen, die das Buch Reinventing Organizations gelesen haben, und dann versuchen, ihre Organisation anhand von abstrakten Prinzipien (Selbst-Management, Streben nach Ganzheitlichkeit, evolutionärer Sinn und Zweck) umzugestalten, begehen oft den Fehler, dass sie zu stark auf den Faktor der subjektiven Begeisterung setzen und den Faktor der objektiven Strukturen, Regeln und Verhaltensweisen bei der Zusammenarbeit vernachlässigen.
Teal, gut und schön, aber ist am Ende auch der Kunde mit der Leistung der Organisation glücklich? Es ist eine Sache, die alte Management-Hierarchie kurzerhand aus dem Fenster zu werfen. Etwas gänzlich anderes ist es, in Organisationen eine kohärente und tragfähige Struktur zu etablieren, die im Alltag und insbesondere auch unter Druck funktioniert.
Stattdessen überheben sich viele Organisationen, insbesondere was das Prinzip Selbstorganisation, bzw. Selbst-Management betrifft. Eine klassische Hierarchie zwischen Manager und Mitarbeiter ist zwar meistens nicht toll, aber zumindest bietet sie Klarheit und eine gewisse Effizienz und Kontrolle.
Um das durch ein System des Selbst-Management zu ersetzen, muss man wissen, was man mit solchen Aktionen tut. Andernfalls hat man vielleicht zwar die gewünschte Augenhöhe, aber auch Verantwortungsdiffusion, Kontrollverlust und das Entstehen von Schatten-Macht Strukturen, um diese Lücke zu füllen. Denn weder die Natur noch Organisationen dulden ein Vakuum. Wenn diese Lücke nicht bewusst durch ein Organisationsmodell gefüllt wird, so wird sie eben auf der Hinterbühne der Organisation geschlossen.
Inspiration ist großartig und kann Dinge ins Rollen bringen, doch die Gefahr ist, dass sie einfach verpufft, wenn Organisationen sie nicht in konkrete neue Erwartungen, Regeln und Gewohnheiten übersetzen. Gleichzeitig ist Organisationsentwicklung am eigenen Leib – d.h. in der eigenen Organisation im Trial-and-Error Modus – ein hartes Brot, es sei denn man hat einen so langen Atem, wie die Organisationen, die Laloux gefunden hat, die es letztlich ohne Berater und in Eigenregie geschafft haben.
Doch ohne stützende Strukturen, die die Organisationsentwicklung tragfähig machen, bleibt der Transformationsprozess meistens im Ungefähren stecken und viele Fragen bleiben unbeantwortet – egal wie viele Bücher und Artikel man wälzt:
Wenn man sich umschaut, so gibt es eigentlich nur ein Organisationsmodell, das spezifisch mit dem Ziel entwickelt worden ist, universell branchenübergreifend und unabhängig von Größe oder Businessmodell der Organisation als allgemeines Betriebssystem und Praxis tauglich für Selbst-Management zu sein. Laloux führt es auch auch auf in seinem Buch: es handelt sich um Holacracy.
Alle anderen beschriebenen Organisationsformen sind im Prinzip “Heimgewächse”, die im Kontext der lokal gewachsenen Kultur der jeweiligen Firma Sinn ergeben, jedoch nicht ohne weiteres ausgerupft und in andere Kontexte verpflanzt werden können.
Holacracy ist zwar ebenfalls organisch gewachsen, aber es unterscheidet sich vor allem dadurch, dass von Anfang an darauf geachtet wurde, es “portabel” zu machen, damit nicht jede Organisation das Rad komplett neu erfinden muss. Das Kernelement hierbei ist die Holacracy-Verfassung, welche die DNA und die Essenz der evolutionären Learnings als Regelwerk destilliert hat. Die Verfassung beschreibt universal nutzbare Regeln der Zusammenarbeit, sowie grundlegende Prozesse zur Strukturierung (Governance) für das Alltagsgeschäft.
Man muss dazu sagen, dass Holacracy sich vor allem den 1. und 3 Durchbruch gemäß Reinventing Organizations beschränkt, also “Selbst-Management” und “evolutionärer Purpose”. Durch die klare Differenzierung von Mensch und Organisation in Holacracy ist der Bereich “Ganzheitlichkeit” bewusst undefiniert gelassen worden, weil die Vielfalt kultureller Präferenzen nicht sinnvoll in einem Modell abbildbar ist und jede Firma und selbst jedes Team hier seine eigene Präferenzen hat.
Was ist jetzt so toll an Holacracy? Kann man sich die Elemente seines Organisationsmodelles nicht einfach DIY-mäßig selber aus seinen Lieblings-Versatzstücken zusammenstellen? Jein. Das kann man zwar tun, aber ich würde es nicht empfehlen, weil man dann eventuell zentrale Synergie-Effekte liegen lässt, oder sich Widersprüche und Reibungsverluste einhandelt, die schlimmstenfalls zu Abbruch und Aufgabe führen.
Man muss sich an dieser Stelle bewusst machen, dass in der heutigen Version der Holacracy Verfassung über 10 Jahre intensive evolutionäre Entwicklung steckt. Sie destilliert die gesammelte mühevoll gesammelte Erfahrung von hunderten von Unternehmen. Natürlich kann man diesen Fundus an Erfahrung ausser acht lassen und völlig neu beginnen, allerdings macht das für die allermeisten Unternehmen schlicht keinen Sinn.
Die zentralen Elemente von Holacracy (Meetings, Regeln der Zusammenarbeit, Prinzipien dynamischer Steuerung, Software-Unterstützung, Arbeit in Rollen und Kreisen, Differenzierung von Rolle und Mensch, etc.) ergeben ein holistisches Ganzes, das sich gegenseitig verstärkt und das mehr ist als die bloße Summe seiner Teile. Doch dazu mehr in einem Folgeartikel.
In Kapitel 3 von Reinventing Organizations schreibt Frederic Laloux sehr klar, was die unhintergehbaren Voraussetzungen dafür sind, dass man eine Transformation in Richtung Teal überhaupt versuchen sollte.
Sind diese beiden Voraussetzungen nicht erfüllt, so kann man sich die Transformation im Grunde sparen, denn es ist vergebene Liebesmüh. Diese Voraussetzungen sind sozusagen die Sollbruchstellen, an denen sich entscheidet, ob das zarte Teal-Pflänzchen Wurzeln schlagen darf oder bei der ersten Irritation von den Machthabern kurzerhand wieder zertrampelt wird. Der primäre Job dieser beiden Gruppen ist es nämlich, den Transformationsprozess zu beschützen. Ihre aktive Mitwirkung ist somit unerlässlich.
Die Transformation einer Organisation Richtung Teal funktioniert oft nicht wie gewünscht, weil
Frederic Laloux hat mit “Reinventing Organizations - Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit” wohl eines der faszinierendsten Bücher zur Organisationsentwicklung des letzten Jahrzehnts geschrieben. Doch bei viel Begeisterung erzeugt die frohe Kunde auch oft viel Hype, wodurch sich verkürzte und unterkomplexe Lesarten in den Vordergrund drängen, die eine schnelle und einfache Lösung suggerieren. Die Wahrheit ist aber, dass dieser Change relativ voraussetzungsreich ist und gut unterstützt sein sollte. Doch mit fortgesetzter Hinwendung, bewährten Mustern und Begleitung durch Könner kann er gelingen.